Klaus Kinskis Schimpftiraden sind legendär, doch der Schauspiel-Exzentriker beließ es nicht bei Verbalattacken. Nur durch Glück verlor niemand am Filmset von „Aguirre“ das Leben. Dennoch drehte Regisseur Werner Herzog wieder mit „seinem liebsten Feind“. Das lag an einer besonderen Eigenschaft Kinskis.
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Genie und Wahnsinn liegen bisweilen nah beieinander, und ein drastisches Beispiel dafür ist die an Hassliebe grenzende Verbindung zwischen Regisseur Werner Herzog und Schauspieler Klaus Kinski. Obwohl es bereits bei ihrer ersten Zusammenarbeit beinahe Tote am Filmset gegeben hätte, konnten die beiden nicht voneinander lassen und arbeiteten in den 1970ern und -80ern immer wieder zusammen.
Der Erfolg gab ihnen recht: Am Ende standen fünf Filme, die als meisterhaft gelten. Und doch werden die Werke zumindest teilweise überstrahlt von den Umständen, unter denen sie zustande kamen. Herzog verarbeitete dies 1999, acht Jahre nach Kinskis Tod, in seiner Dokumentation „Mein liebster Feind“ und zeigte darin haarsträubende Szenen, die sich zwischen den Filmtakes zugetragen hatten. Weiteren Kontext lieferte Christian David 2006 in seinem Buch „Kinski – Die Biographie“ (Aufbau-Verlag, 446 Seiten).
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Alles begann im Jahr 1971. Der damals 45-jährige Kinski galt in der an Exzentrikern nicht armen Welt der Filmschaffenden längst als besonders schwierig. Aber eben auch als genial, was seine Schauspielkunst anging. Deswegen wollte ihn der damals 29 Jahre alte, aufstrebende Filmemacher Herzog für seine anstehende Produktion „Aguirre, der Zorn Gottes“.
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Herzog wusste, worauf er sich mit Kinski gefasst machen musste, er kannte den erratischen Schauspieler und dessen mehr als aufbrausende Art aus eigener Anschauung. Zufällig hatte er anderthalb Jahrzehnte zuvor mit ihm einige Monate in einer Pension gelebt, wo Kinski bereits denkwürdige Szenen abgeliefert hatte. Dennoch (oder gerade deswegen) wollte er nun mit ihm arbeiten.
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Kinski arbeitete und lebte zu dieser Zeit in Rom, aber nachdem er dort zuletzt nur noch Nebenrollen in schlecht bezahlten Billig-Produktionen gespielt hatte, befand er sich beruflich in einer Sackgasse. Daher war Kinski heilfroh über das Angebot, das künstlerisch vielversprechend und noch dazu lukrativ für ihn war – 100.000 D-Mark sollte er erhalten. „Dieser Werner Herzog ist verrückt, das hätte ich doch für die Hälfte auch gemacht“, sagte Kinski 1971 lächelnd zu einem Freund.
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Und die Rolle war ihm wie auf den Leib geschneidert: Er sollte den spanischen Konquistador Don Lope Aguirre spielen, der im 16. Jahrhundert auf der Suche nach dem Gold El Dorados ist und auf seiner Odyssee im Urwald Südamerikas immer mehr dem Wahnsinn verfällt.
Herzog berichtete später in seiner Doku: „Ich hatte Kinski mein Drehbuch geschickt, und zwei Nächte darauf weckte mich das Telefon um drei Uhr morgens. Ich konnte erst gar nicht ausmachen, was los war, denn ich hörte nur unartikulierte Schreie am anderen Ende der Leitung. Es war Kinski. Nach etwa einer halben Stunde ließ sich aus den Schreien in etwa herausfiltern, dass er von dem Drehbuch begeistert war und dass er Aguirre sein wollte.“
1972 fanden die zweimonatigen Dreharbeiten im Urubamba-Tal in Peru statt, voller Strapazen im Dschungel, in Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit. Das verlangte auch genügsamen und ausgeglichenen Naturen einiges ab. Etliche der Beteiligten waren schnell am Rande ihrer Kräfte. Aber durch Kinski potenzierten sich die Widrigkeiten.
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Der Schauspieler hatte gerade eine Bühnen-Tournee abgebrochen, weil der Auftakt in der Berliner Deutschlandhalle in tumultartigen Szenen zur Publikumsbeschimpfung entglitten war. Dementsprechend war seine Laune, und mit dem ersten Urwald-Regen begann eine Kaskade von Wutanfällen. Einmal beschimpfte er Herzog im Streit über eine Szene als Größenwahnsinnigen. Der entgegnete ruhig: „Dann sind wir jetzt eben zu zweit.“ Etliche Schreikrämpfe seines Hauptdarstellers mit wüsten Beschimpfungen folgten.
Aber es blieb nicht nur bei Verbalattacken: Kinski ließ sich zwischenzeitlich mit seiner Frau in einem Hotel im nahen Macchu Picchu einquartieren. Dort soll er jede Nacht Tobsuchtsanfälle bekommen und seine Frau prügelnd durch die Flure getrieben haben. Ein Mitarbeiter der Produktion habe um vier Uhr morgens Blutspuren von Kinskis Frau an den Wänden entfernt. Man habe den Hotelbesitzer mit Bestechungsgeldern davon abgehalten, Kinski herauszuwerfen. Erst Jahre später schrieb Herzog über diese Ereignisse.
„Vom Charakter her war er diabolisch“
Ein peruanischer Statist schilderte Kinski mit deutlichen Worten: „Er hasste alle, war impulsiv, unberechenbar, halb wahnsinnig. Er war nicht ganz normal, aggressiv, vom Charakter her war er diabolisch, er lief immer bewaffnet herum.“ Als sich der Schauspieler nachts von Statisten gestört fühlte, die in ihrer Hütte zusammensaßen und Karten spielten, schoss er mit einem Gewehr in die Richtung der Hütte. Er traf dabei einen Statisten an der Fingerkuppe, nur durch Zufall gab es keine ernsthaft Verletzten oder Tote.
Und doch führte das alles nicht dazu, dass Herzog, der Kinskis Eskapaden ruhig und tapfer ertragen hatte, sich nach „Aguirre“ von ihm abwandte. Vier weitere Filme drehten die beiden, darunter im Jahr 1981 „Fitzcarraldo“, wo es erneut zu berühmt-berüchtigten Vorfällen kam. Wieder war das Setting der peruanische Dschungel, wieder bedeutete das sehr herausfordernde Umstände, zumal die Hauptfigur, der exzentrische Unternehmer Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo‚ ein Opernhaus mitten im Urwald errichten wollte.
Und außerdem hatte sich die Hauptfigur in den Kopf gesetzt, ein großes Schiff in Gänze von einem Flusslauf über einen Berg (!) zu einem anderen Flusslauf ziehen lassen – was Herzog nicht etwa mit Miniaturen und Tricks nachstellte, sondern tatsächlich durchführen ließ. Das klang wahnsinnig und war es auch ein Stück weit, und letztlich musste es wohl einfach Kinski sein, der hierbei die Hauptrolle spielte.
Herzog hatte lange mit sich gerungen, ob er nach der „Aguirre“-Erfahrung ein weiteres Dschungelabenteuer mit Kinski wagen wollte, doch nachdem er den Dreh schon begonnen hatte und ihm sein Hauptdarsteller Jason Robards abhandengekommen war, galt es, den Film irgendwie zu retten. Schier verzweifelt wandte sich Herzog an Kinski, der in New York weilte. Herzog suchte ihn um ein Uhr nachts mit einer Flasche Champagner im Hotelzimmer auf.
Aufgrund der Notlage des Regisseurs konnte Kinski opulente Vertragsbedingungen diktieren. Neben einem Honorar von 200.000 Dollar wurden diverse Extrawünsche wie ein separater Bungalow am Set und speziell ausgesuchte Lebensmittel vertraglich garantiert.
Doch das führte nicht dazu, dass sich Kinski diesmal zügelte. Im Gegenteil machte er da weiter, wo er das letzte Mal im Dschungel aufgehört hatte. Es gab beim Dreh erneut heftige Auseinandersetzungen und unzählige Tobsuchtsanfälle. Die als Statisten agierenden Ureinwohner waren entsetzt von dem Gebaren des Deutschen. Die Häuptlinge der Ashininka-Campas und der Machiguengas machten Herzog daher einen Lösungsvorschlag: „Gegen Schluss boten mir die Indianer an, dass sie den Kinski ermorden würden für mich, sie sagten: Sollen wir ihn töten für dich? Und ich sagte: Nein, um Gottes willen, ich brauche ihn ja noch zum Drehen. Lasst ihn mir, lasst ihn mir!“
Es war Kinskis besondere Aura als Schauspieler, die Herzog brauchte. Kinski wusste das Publikum zu faszinieren, in seinen Bann zu ziehen. In seiner Raserei wie auch mit ganz leisen, leichten Momenten. Zu denen gehörte die Schlussszene von „Fitzcarraldo“, wo er ganz entspannt und gelöst war, rauchend und lächelnd.
Script-Assistentin Anja Schmidt-Zäringer erinnerte sich später: „Das war ein ganz besonderer Moment, als Kinski mit der Zigarre auf dem Schiff stand. Wenn ich heute die Szene anschaue, muss ich weinen. Nach so langer Zeit ... es war einfach eine Erlösung. Da war dieser Opernchor und sang, und da stand Kinski, und wir saßen alle auf dem Oberdeck in der Sonne und dachten nur: Mensch, ist das Leben schön.“
Herzog fasste die Dynamik so zusammen: „Ich habe die Herde zusammengehalten, und er hat sie magnetisch gezogen.“
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